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4.000 Jahre alte Mauerreste der Oxus-Stadt Gonur Depe (Turkmenistan)

Margiana - die vergessene Hochkultur

 

Zentralasien und das südliche Sibirien waren vor 4.300 Jahren Schauplätze erstaunlicher kul­tureller Entwicklungen. Insbeson­dere die urbane "Oxus-Zivilisation" zieht immer mehr Archäolo­gen in ihren Bann.

 

Sie errichteten Städte mit wehrhaften Mauern und monumentalen Toren. Sie kannten raffi­nierte Me­thoden der künstlichen Bewässerung, sie tauschten Waren und Güter in einem Um­kreis von 3.000 Kilo­metern. Und sie wurden verges­sen.
Erst Luftbild­aufnahmen, die für den Bau von Bewässerungs­kanälen durch die Wüs­te Ka­rakum gemacht wor­den waren, zeigten unter dem Sand verbor­gene Strukturen. Seit 1972 sind Archäologen in Gonur Depe (moderner Name: "Grau­er Hügel") tä­tig, einer Ruinenstätte etwa 80 Kilo­meter nördlich der turkmenischen Provinzhaupts­tadt Mary. Dort versandet heute der aus den afgha­nischen Bergen kommende Fluss Murghab, im 3. vorchristlichen Jahrtausend bildete er eine große Oase. Die Perser nannten die Gegend später "Margush", die Griechen machten daraus "Margiana".
Über 240 Hektar er­strecken sich Areale mit star­ken Mauern, in denen Wohn- und Handwerks­quartiere neben repräsenta­tiven Palastbauten stehen. In den mehr als dreitausend Gräbern der be­nachbarten Ne­kropole fanden die Archäologen Kunstwerke von großer Schönheit in einem ei­genständigen Stil, die vergleichbaren Bei­gaben aus Mesopo­tamien nicht nachstehen. Gonur Depe war zu seiner Blü­tezeit nur wenig kleiner als das zeitgleiche Babylon. Entstanden ab etwa 2.400 v. Chr., wur­de die Stadt um 1.700
v. Chr. aufgege­ben.

Eine Fachtagung in Berlin mit zwei Dutzend Ex­perten aus Eu­ropa, Zentralasien und den USA un­ternahm jetzt den Versuch, kulturelle Zusammen­hänge zwischen Zentralasien, West­sibirien und dem persi­schen Hochland abzu­klären. Sinnvollerw­eise hatten die Organisator­en des „Deut­schen Ar­chäologischen Insti­tuts" den Rah­men der Ta­gung weit gespannt: "Die Bron­zezeit in Zen­tralasien und Khorasan" ließ einen er­weiterten Blick auch auf die iranische Nordpro­vinz zu.

 

Streitwagen und Metalle aus Sibirien

Etwas umständlich benannten die Ausgräber die hochstehende Zivilisation nach ihrem Verbreit­ungs-gebiet "Bactria-Margiana Archaeological Complex". Erst wenige der inzwischen rund 300 bekannten Fundorte wurden erforscht. Durch Funde gesichert sind weitreichende Bezieh­ungen der Menschen des "BMAC" zur Indus-Zivil­isation, zu den Stadtstaaten in Meso­potamien, nach Anatolien und zu den alten Kulturen im Iran. Es mehren sich aber auch die Zeichen, dass im letzten Drittel des 3. vor­christlichen Jahrtau­sends ein Aus­tausch zwi­schen Westsibirien und den Oasen im Süden begann. Damals entstan­den in der Region Ma­gnitogorsk am süd­lichen Ural etliche befestigte Sied­lungen der "Sintas­hta-Petrovka-Kultur".

Deren Bewohner züch­teten Rinder, Schafe und Ziegen – und sie do­mestizierten das Pferd. Eindeutige Fels­zeichnungen sowie Funde von typischen Trensen-Formen dienen als Beleg. In Gräbern der Sin­tashta-Kultur wurden überdies die ältesten Streitwagen mit zwei Speichenrä­dern gefun­den: Ein Erfolgsmo­dell, das von hier bis nach China, Ägypten und später nach Rom gelangte. Zu­dem waren die Sin­tashta-Leute hervorragende Metallur­gen, die aus den Erzen des nahen Ural Kupfer, Zinn, Silber und Gold gewannen. Diese Me­talle, Pferde, Waffen und Streitwagen tausch­ten sie in den Städten des "BAMC" gegen hochwertige Ke­ramik und wert­volle Schmuck­steine aus den Bergen des Hindu­kusch.

 

Kontakte entlang der späteren Seidenstraße

In Gonur Depe, Adji Kui, Dzahrkutan und an­deren Orten der auch nach dem "Oxus" be­nannten Kul­tur, dem an­tiken Namen des Amu-Darja, des größ­ten Flus­ses in der Region, wur­den Roll­siegel aus Mesopotamien ebenso ge­funden wie Stempelsiegel der In­dus-Kultur. In Um­rissen zeichnen sich be­reits in dieser frü­hen Zeit sogar die Trassen der viel späteren "Seidenstra­ße" ab, denn die Aus­gräber haben Hirsekörner gefunden: Dieses Ge­treide wurde in China kultiviert. Bereits ge­zähmt war auch das "Baktrische Kamel", von Al­fred Brehm etwas bösartig "Trampeltier" ge­tauft, das in viel späterer Zeit unverzichtbar für die Kara­wanen wurde – mehrere künstleri­sche Darstel­lungen belegen dies.

Alles das zeigt die Menschen der "Oxus-Kul­tur“ als erfolgreiche Händler und Handwerker. Gonur Depe
war von einem Kranz vereinzelter Bau­ernhöfe um­geben, von dort aus wurde die Stadt offen­sichtlich mit Nahrung versorgt – man fand Reste von Wei­zen, Gerste, Hirse, Bohnen, Pistazien und Sesam. In noch größe­rem Abstand sicherte eine Kette von Forts die Städ­te und ihr Umfeld. Ähnlich war et­was weiter westlich das Weichbild der Stadt Adji Kui angelegt. Dass die Menschen Über­fälle und kriegerische Auseinandersetzungen kann­ten und fürchteten, lassen auch die Reste der mächtigen, bisweilen doppelten Mauern ver­muten. In Dzahr­kutan waren ihre Funda­mente vier Meter dick, spä­ter wurden sie auf so­gar sechs Meter vergrö­ßert. Mögli­cherweise handelte es sich um „Stadt­staaten“, die sich bekriegten.

 

Nomadenzelte zwischen den Palästen

Und es gab noch andere Bewohner in der Ge­gend, die den Städtern vielleicht nicht immer ganz ge­heuer waren. Zwischen den Städten ha­ben die Ar­chäologen Siedlungsplätze von no­madisch leben­den Viehzüchtern nachweisen kön­nen – ihre typi­schen Gräber unter großen, aufge­schütteten Erdhü­geln haben sich erhalten. Sicher ist, dass sie die Städter mit Fleisch und Fellen versorgten; die Ab­fallgruben mit den Knochen von Rindern, Schafen und Ziegen hat man bei den Städten gefunden. Ver­mutlich wa­ren es die gleichen Völker, die im Früh­jahr mit ihren Herden nach Norden bis zu ihren festen Siedlungen am Ural zogen und auf dem Rück­weg nach Süden die begehrten Metalle mit­brachten. Zahlreiche Ex­perten sehen in diesen Halb-Nomaden die Vorfahren der Menschen, die ab etwa 1.600 v. Chr. als "Aryas" den Iran und den in­dischen Subkontinent besiedeln. Der Entdecker und langjährige Ausgrabungsleiter von Gonur Depe, Viktor I. Sarianidi, glaubte, Zeugnisse für Rituale gefunden zu haben, die in den ältesten Sanskrittexten be­schrieben werden – die Verehrung des heiligen Feuers und der Genuss des berau­schenden „Soma“. In einigen Gefäßen hatten sich Saat­körner von Cannabis, Ephedra und Schlaf­mohn erhalten. Den meisten Fachleuten geht das aber zu weit, auch wenn offensichtlich kultische Bestattungen von Pferden auf "Aryas" hindeuten.

Über die Völker und ihre Sprachen, von denen die "Oxus-Kultur" getragen wurde, wissen wir nichts. Re­konstruktionen von Köpfen an­hand von gefund­enen Schädeln zeigen europid an­mutende Gesich­ter mit kräftigen Nasen – ein Men­schentyp, wie er heute im Iran vor­herrscht. Eine eigene Schrift fehl­te dieser Hochkul­tur, auch wenn über die Handels­wege die Keilschrift ebenso wie die Zei­chenschrift der Indus-Kultur in die Städte an Murghab und Oxus gelangt waren. Rätsel­hafte Symbole auf Ton­gefäßen oder Figuren sehen einzelne For­scher als An­zeichen für eine eigenständige Schriftentwick­lung – aber den meisten gilt dies als Spe­kulation. Das gilt auch für die Gleich­setzung der "Oxus-Kul­tur" mit Ge­bieten oder Or­ten, die in sumerisch-ak­kadischen Texten und Mythen ge­nannt wer­den.

 

Warten auf eine erste Ausstellung

Recht sicher glaubt man jedoch von einem Klimaw­andel in der Region ab etwa 1.800 v. Chr. zu wissen: Das Binnendelta des Flusses Murghab trock­nete aus, die Bewässerungskanäle verfie­len. Ähn­lich erging es anderen Oasen, erst im westlichen, später auch im östlichen Teil des Gebiets. Die Städ­te leerten sich, Wind, Eis und Sandstürme ha­ben die Lehmziegelbauten zer­mahlen; sie und ihre Be­wohner wurden ver­gessen. Einige nah­men viel­leicht die Le­bensweise der Hirtenvöl­ker an, mit denen sie in Kontakt gestanden hatten.

Rainer-Maria Weiß, Direktor des Archäologi­schen Museums in Hamburg, will seit fast ei­nem Jahr­zehnt die spektakulären Fund­stücke aus Turkme­nistan erstmals in ein westliches Land bringen. "Wir haben es mit einer weite­ren Wiege der Zivili­sation zu tun, unser Welt- und Geschichtsbild muss korrigiert werden", ist Weiß sicher. "Margiana – ein verschollenes Königr­eich der Bronzezeit in Turkmenistan" soll eine Ausstellung heißen, die von Berlin über Hamburg nach Mannheim wan­dern soll.

Ob es 2017 damit endlich etwas wer­den wird, ist unge­wiss: Die turkmenischen Be­hörden fürchten, die Kunstgegen­stände könnten ge­gen Kopien aus­getauscht werden. Dies mag irration­al erscheinen: Eine eindeuti­ge, beruhi­gende Sacher­klärung der Bundesre­gierung würde den Weg dafür eb­nen, erst­mals in der westlichen Welt faszinierende Funde aus die­ser vergessenen Hochkultur zei­gen zu kön­nen.

Eine "baktrische Prinzessin". Solche Komposit-Statuetten aus verschiedenen Gesteinen sind seit 200 Jahren bekannt. Weil sie auf den Basaren von Kabul und Kandahar gehandelt wurden, sah man ihre Herkunft lange in Afghanistan, dem antiken Baktrien. Nach der Wiederentdeckung der "Oxus-Kultur" sieht die Forschung sie als Leitobjekte dieser Zivilisa-

tion.

 

 

 

 

Süddeutsche Zeitung

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