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Am Golde hängt doch nicht alles

Chemische Analysen genügen offenbar nicht, um archäologische Funde zweifelsfrei zu bewerten. Den Streit um die Echtheit des "Goldes von Bernstorf" können sie nicht beenden.

Kontroversen in der Wissenschaft können spannend sein, anregend und fruchtbar. Oft dauert es sehr lange, bis endgültige Klarheit herrscht. Und ebenso oft geht es bald nicht mehr um die Fakten allein, sondern gleichermaßen um Schmach und Verletzungen, die sich die Kontrahenten zufügen.

Ein Gelehrtenstreit, der Kriminalautoren auf Gedanken bringen könnte, rankt sich um einen kleinen Ort in Oberbayern. Seit mehr als achtzehn Jahren steht ein archäologischer Sensationsfund unter dem Verdacht, eine Fälschung zu sein. Ein großes und ein kleines Diadem aus hauchdünnem Goldblech, ein Gürtel-beschlag, eine Art Zepter, eine große Gewandnadel und etliche Zierknöpfe bilden das "Gold von Bernstorf". Zu dem Schatz gehören auch zwei einzigartige Bernsteinfunde: Ein geschnittenes Siegel mit eingeritzten Schriftzeichen und ein kleiner Kopf mit lächelndem Gesicht. Sowohl die Goldbleche wie die Bernsteinfunde zeigen Stilmerkmale, die auf das mykenische Griechenland hindeuten. Ist das möglich, Luxusgegenstände mit Bezügen zum Griechenland des 14. vorchristlichen Jahrhunderts in Oberbayern?

Rüdiger Krause und Rupert Gebhard sagen ja. Der Frankfurter Experte für die europäische Bronzezeit und der Direktor der Archäologischen Staatssammlung in Bayern haben jetzt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine umfangreiche Dokumentation1) vorgelegt, die alle Fälschungs- und Betrugsvorwürfe ausräumen will. Die beiden Archäologen haben seit 2007 den Bernstorfer Berg gründlich erforscht, sie fanden eine der größten befestigten Siedlungen der Bronzezeit nördlich der Alpen. Krause und Gebhard sind sicher, dass die Gold- und Bernsteinfunde auf ein mächtiges Handelszentrum hinweisen, das auf dem Weg der antiken "Bernsteinstraße" von der Ostsee zum Mittelmeer heraus-ragende Bedeutung besaß. Zahlreiche aufgefundene Bernsteinsplitter lassen vermuten, dass rohe Steine hier bearbeitet wurden, bevor sie weiter in den Mittelmeerraum gelangten. Das Gold könnte zu einem Ornat gehört haben, den eine hochgestellte Persönlichkeit trug. "Die Ergebnisse der mit archäologischen und naturwissenschaftlichen Methoden durchgeführten Untersuchungen der Goldbleche und Bernsteine haben den Vorwurf von Fälschungen vollständig entkräftet", betont Rüdiger Krause.


Ein Denkmal verschwindet beinahe in der Kiesgrube

Am 7. August 1998 fanden die ehrenamtlich tätigen Freizeit-Archäologen Manfred Moosauer und Gertraud Bachmaier mehrere Goldbleche auf dem Bernstorfer Berg. Sogleich herbei gerufene Archä-ologen der Staatssammlung München bargen zusammen mit Kollegen des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege in den folgenden Wochen insgesamt 21 Teile aus reinem Gold, daneben etliche Stücke von rohem und bearbeitetem Bernstein. Zwei Jahre später fanden wiederum Moosauer und Bachmaier die beiden besonders auffälligen Bernsteine, das Siegel und den Kopf.

Moosauer hatte schon 1994 erste Grabungen durchgeführt, die ihn bald überzeugten, einer großen Festungsanlage aus der Bronzezeit auf der Spur zu sein. Es gelang ihm jedoch nicht, beim Archäo-logischen Verein Freising und bei den regionalen Denkmalbehörden jemand von seiner Hypothese zu überzeugen. Im Gegenteil, "seine" bronzezeitliche Festung drohte vor seinen Augen weggebaggert zu werden: Die Behörden ließen ein örtliches Kiesabbau-Unternehmen mit nur geringen Auflagen einfach weitermachen.

Die ersten Goldfunde machten Moosauer und Bachmaier im Wurzelgeflecht von Bäumen, die zur Vorbereitung des weiteren Kiesabbaus gefällt worden waren. Erst jetzt waren die Denkmalbehörden bereit, systematische Ausgrabungen zu starten. Auch die geschnitzten Bernsteinfunde kamen nicht bei Grabungen „in situ“ zum Vorschein, sondern beim Durchsieben von Abraum, der bei Grabungen angefallen war. Sehr schnell machte das Gerücht die Runde, Moosauer und Bachmaier hätten das Gold und den Bernstein selbst deponiert, bevor sie unter Zeugen „fündig“ wurden. Der Vorsitzende des Archäologischen Vereins Freising Erwin Neumair kolportierte noch über lange Zeit, Moosauer habe die Gegenstände wohl von seinen Reisen nach Griechenland und Zypern mitgebracht.


Zu reines Gold, um echt zu sein?

Solchen Betrugsvorwürfen widersprachen die beteiligten hauptamtlichen Archäologen vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege wie von der Archäologischen Staatssammlung. Das half wenig, ebenso wie die eidesstattlichen Erklärungen der Finder. Bald beteiligten sich Stimmen aus der Wissenschaft an dem Streit, die lediglich über Publikationen auf die Funde aufmerksam geworden waren. Durch eine Fernseh-sendung wurde im Herbst 2012 die Neugier des Heidelberger Chemikers und Experten für Archäometrie Ernst Pernicka geweckt, der sich eine Materialprobe des Goldes erbat.

Hatten vorherige Untersuchungen an der Universität Frankfurt und an der TU München schon einen ungewöhnlich hohen Reinheitsgrad des Edelmetalls bezeugt, führten Pernickas Ergebnisse zu einem Paukenschlag: Gold mit einer gemessenen Reinheit von 99,99 Prozent könne nur in einem modernen Verfahren erzeugt werden – die Goldfunde seien Fälschungen, die Archäologen seien darauf hereingefallen.

Diese Interpretation halten Rupert Gebhard und Rüdiger Krause für gänzlich verkehrt. Sie belegen in ihrer Dokumentation, dass hochreines Gold durchaus schon im 2. vorchristlichen Jahrtausend möglich war – in Vorderasien wie in Ägypten. Sie halten es für möglich, dass solches Gold als Tauschgut bis nach Mitteleuropa gelangte. Ebenso wie ägyptische Glasperlen, die man in skandinavischen Gräbern fand. Immerhin ist auch baltischer Bernstein nach Ägypten gelangt, wie umfangreiche Funde zeigen. Wie weit die Handelsbeziehungen in der Bronzezeit reichten, belegt auch ein gut dokumentierter Fund aus dem Jahr 2011: Damals fanden Archäologen des Niedersächsischen Landesamts für Denkmalpflege nicht weit von Bremen den bronzezeitlichen „Goldhort von Gessel“. Das dafür verarbeitete Gold könnte nach Analysen aus dem heutigen Tadschikistan stammen – 7000 Kilometer weit weg.

Zudem werfen die Archäologen Pernicka vor, einen wesentlichen Befund völlig auszuklammern: Das "Zepter" war ein mit verziertem Goldblech spiralig umwundener Stab aus verkohltem Eichenholz. Dessen Alter ließ sich bestimmen, das Holz stammt eindeutig aus dem 14. vorchristlichen Jahrhundert. Es ist undenkbar, dass es einem Fälscher gelungen sein könnte, solch ein Ensemble herzustellen. Eine jüngste Analyse des Bernstorfer Goldes durch die Bundesanstalt für Materialforschung bestätigte den hohen Reinheitsgrad. Eine Unterscheidung von modernem und antikem Gold sei jedoch aufgrund des minimalen Anteils an Spurenelementen nicht möglich.

Ernst Pernicka hat seinen Fälschungsvorwurf dennoch in einem Beitrag für „Archäologie in Deutschland“ im Frühjahr 2016 noch einmal bekräftigt. Er stützt ihn auch auf Altersbestimmungen, die an den anhaftenden Erdresten der aufgefundenen Bernsteinstücke vorgenommen worden waren. Pernicka verweist darauf, in den Erdanhaftungen habe sich zeitgenössisches Material gefunden. Gebhard und Krause machen die unglücklichen Fundumstände dafür verantwortlich: Da das antike Harz nicht am ursprünglichen Ort geborgen werden konnte, sondern sich im Aushub einer Grabung fand, könnten anhaftende Erdreste zu keiner sinnvollen Aussage über das Alter der Objekte beitragen.

 

Das Alter der Funde lässt sich bestimmen

Aber das Siegel trägt eingeritzte Zeichen, und mit Hilfe naturwissenschaftlicher Verfahren lasse sich gerade an den Ritzungen beweisen, dass der Bernstein sehr lange anhaltenden Verwitterungsprozessen ausgesetzt gewesen sei. Das gelte ebenso für das Bernstein-Gesicht. Die eingravierten Zeichen seien der im mykenischen Griechenland verbreiteten Linear-B-Schrift entnommen. Der Experte Richard Janko von der Michigan State University liest darin sogar den Namen des Ortes "Tinwanthos", der auch in Texten aus dem mykenischen Palast von Pylos vorkommt. Ein Hinweis auf den Handelspartner des antiken Bernstorf?

Dass Ernst Pernicka nicht in jedem Fall so schnell von einer Fälschung spricht, belegt ein Aufsatz in dem Dokumentationsband, den Harald Schulze beisteuert; er ist Fachwissenschaftler für die griechische Antike bei der Archäologischen Staatssammlung in München. In einem Gutachten beurteilte Pernicka 2010 ein im Kunsthandel angebotenes "antikes griechisches Zierblech aus Gold mit mythologischer Eberjagdszene" mit 99,6 Prozent Reinheitsgrad als "ungewöhnlich". Von Fälschung sprach er in diesem Fall aber nicht. Als solche erwies sich das Stück dennoch durch eingehende Vergleiche von Stil und Verarbeitung mit zweifelsfrei echten Funden.

Gebhard und Krause erinnern an die "Himmelsscheibe von Nebra", die Reliquie der Bronzezeit in Deutschland. Deren Fund ist von ähnlich unglücklichen Umständen geprägt. Nicht einmal der Ort der Raubgrabung, aus der die Scheibe stammt, ist zweifelsfrei bekannt. Manches Detail ist unklar geblieben, trotz mehrerer Gerichtsverhandlungen und vieler dicker Gutachten. Nach jüngsten Erkenntnissen sollen nun sowohl das Zinn für die Bronzelegierung als auch einige Goldauflagen der Scheibe aus Cornwall stammen; früher wurden der Ostalpenraum und der Balkan vermutet. Aber ob die "Himmelsscheibe" vom Ostharz stammt, oder ob sie aus England, Österreich oder Ungarn dorthin gelangte, ist wegen der ungeklärten Fundumstände nicht mehr zu ermitteln.

In welchem Ausmaß "postfaktische" Elemente bei dem Gelehrtenstreit mitspielen, lässt sich nur ahnen. So gehört zu den schärfsten Kritikern der Echtheit Harald Meller, Landesarchäologe in Sachsen-Anhalt. Als solcher wacht er über die "Himmelscheibe von Nebra" – und auch er muss mit dem Verdacht leben, die Scheibe stamme nicht aus seinem Sprengel, gehöre nicht in die Bronzezeit, sondern in eine jüngere Epoche, oder sei gar eine Fälschung. Der Verdacht, hier solle nach dem "Sankt-Florians-Prinzip" von eigenen Problemen abgelenkt werden, liegt im Rahmen menschlicher Verhaltensweisen.

 

Die Menschen der Bronzezeit waren sehr mobil

Die Funde von Bernstorf passen allerdings gut in ein Bild, das sich für die Altertumskundler immer deutlicher abzeichnet: Die Welt der Bronzezeit war äußerst mobil und vom Fernhandel geprägt. Kupfer aus dem ostalpinen Raum ist der wesentliche Rohstoff für Bronzefunde, die in Dänemark und Schweden gemacht wurden. Umgekehrt ist Bernstein aus dem Baltikum in Süddeutschland recht häufig. Das prächtigste Beispiel für ein bronzezeitliches Bernsteincollier mit 2700 Perlen wurde 1996 in Ingolstadt gefunden. Gefäße aus dem mykenischen Griechenland sind weit gereist, ihre Scherben fanden sich u.a. in Norditalien.

Die Organisation des Handels geschah in zentralen Orten, wo sich Wege kreuzten. Händler verbrachten ihre Waren sicher nicht über die ganze Distanz, sondern in Etappen, von denen eine wichtige in Bernstorf lag – über dem Tal der Amper, einem direkten Zugangsweg zum Brennerpass. Die Archäologen wissen, dass bereits früher eine Großsiedlung auf dem Domberg im nahen Freising existierte.

Die Kontroverse um das Gold von Bernstorf verschuldet haben letztlich die damals zuständigen Mitarbeiter in den Denkmalbehörden Bayerns. Hätten sie früher den Forschungen des Freizeit-Archäologen Manfred Moosauer Beachtung geschenkt, den Kiesabbau gestoppt und reguläre Grabungen veranlasst, lägen heute vermutlich klare Fakten vor uns. Naturwissenschaftlich erhobene Messdaten allein taugen nicht immer als Beweise für Echtheit oder Fälschung. Ihre Interpretation kann äußerst unterschiedlich ausfallen, ohne deshalb an Wahrhaftigkeit zu gewinnen.

Die Dokumentation von Gebhard und Krause will zur Versachlichung beitragen. Rupert Gerhard meint: "Es ist in der Geschichte der Archäologie nicht ungewöhnlich, dass außerordentliche Funde zunächst als Fälschungen bezeichnet werden. Meist ist es aufwändig und mit langwierigen Untersuchungen verbunden, bis die Authentizität von antiken Objekten zweifelsfrei geklärt werden kann. Auf diesem Weg sind wir mit der nun vorliegenden Publikation und den zugrunde liegenden Untersuchungen einen entscheidenden Schritt vorangekommen." Ob die Fachkollegen damit einverstanden sind, wird man sehen.

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1) Rupert Gebhard & Rüdiger Krause: Bernstorf – Archäologisch-naturwissenschaftliche Analysen der Gold- und Bernsteinfunde vom Bernstorfer Berg bei Kranzberg, Obb.Abhandlungen und Bestandskataloge der Archäologischen Staatssammlung, Band 3 bzw. Frankfurter Archäologische Schriften, Band 32. Verlag Dr. Rudolf Habelt, Bonn im Dezember 2016. ISBN 978-3-927806-43-6

 

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